Mittwoch, 15. Dezember 2004
2 geschenkte Stunden - Kapitel III - Gestalten

Kapitel II
Ich fand meinen Sitzplatz gegenüber einem sehr voluminösen, jugendlichen jungen Mann mit Bayern München Basekap, dessen weißes Outfit durch deutliche Farbreste verschiedenster Art darauf hindeutete, dass er wohl sei Dasein als Malerlehrling fristet. Vertieft in ein ebenso voluminöses Comicbuch - wohl Micky Mouse - bedröhnte er sich per Lautsprecherstöpsel mit Musik in einer Lautstärke, dass ich in Erwägung zog, ihn um die Reduktion dieser zu bitten. Ich verzichtete dann aber doch darauf und zückte mein heiß geliebtes populärwissenschaftliches Magazin.

Ich versuchte zu lesen. Doch weit kam ich nicht. Aus den Ohrstöpseln mir gegenüber, denen des voluminösen Malerlehrlings mit Bayern München Basekap und Micky-Mouse-Buch, drangen Klänge an mein Ohr - dass sich selbigem nicht traute: Griechischer Wein von Udo Jürgens!
Nein, ich glaubte das nicht! Erst vermutete ich eine wie auch immer geartete Coverversion von irgendeiner Deutschrockband oder ähnliches, doch dann wurde immer deutlicher: es war das Original! In mir machte sich ein fast unverschämtes Grinsen breit, welches in Form eines deutlichen Schmunzelns nach außen drang. Mein Gegenüber bemerkte zum Glück nichts davon. Und der ältere Herr, der mittlerweile neben ihm Platz genommen hatte, dachte es käme von meiner Lektüre, welche ich auch intensiv als Alibi einsetzte. Aber innerlich lachte jede Faser. Spätestens, als sich der folgende Titel als Santa Maria von Roland Kaiser entpuppte. - Ein junger Mann, gerade im Lehrlingsalter, sitzt da, liest nen dicken Wälzer Micky Mouse (okay, ich weiß nicht, in welchem Alter man sowas liest, hab ich nie getan, aber:) und hört Udo Jürgens und Roland Kaiser in einer Lautstärke, dass sie die S-Bahn-Mitfahrer fast stört ... Und nein, er erweckte keinen weiteren Anschein irgendeiner Behinderung.
Kurz nach Santa Maria stieg der junge Mann aus.

Hach, endlich lesen.

Denkste! Hinter mir vernahm ich ein lautstarkes "Hello?? .. Hello?? ... Hello?? ... Darling, I've forgotten the charger for the cellphone ..." Und es folgte ein weiterhin lautstarkes Telephonat, in dessen Verlauf er seiner Familie - Toby, der Sohn wurde mit hineingezogen, weil Mummy nicht konnte - erklärte, dass er nicht ohne abfliegen könne, dass es ein genau solches kaum zum nachkaufen gäbe und wo sich das Ding befindet, damit man es ihm unbedingt noch zum Airport (welcher sich an der Endstation dieser S-Bahn befindet) bringe und er dem Toby auch einen Letter schreibe, da dieser wohl dafür eine - vermutlich schulische - Veranstaltung verpassen würde. Während dessen klingelten zwei weitere Mobiles, jedoch ohne dass sich daraus nennenswerte Telefonate ergaben. Ist halt die Flughafen-S-Bahn. Immer voll von lauter wichtigen Leuten.

Bald darauf erreichte der Zug meinen sehnlichst erwarteten Heimatbahnhof. Ich stieg aus und stapfte zum Auto. Stieg ein, schloss die Tür hinter mir, und hatte RUHE. Endlich Ruhe. Noch zwei Kilometerchen bis nach Hause. Post geholt, Badewasser an, Compi an, Katzen gefüttert, Schreibzeug, Hasenbrote und schnurloses Telefon zusammengesammelt und ganz schnell ab mit dem durchgefrorenen Hintern ins wohlig-warme Erkältungsbad. Ätherisch. Prophylaktisch. Gut.

Gut, wieder zu Hause zu sein!

... comment

 
Micky Maus
liest man entweder nie oder auch als Thirtysomething noch. Allerdings mag ich Donald Duck und die seinen damals wie heute lieber als die blöde Maus.

Am meisten gehasst habe ich beim S-Bahn-Lesen immer, wenn andere in meine Lektüre geglotzt haben. Dabei hängt die Einstellung zu diesem Tun jedoch extrem davon ab, auf welcher Seite ich gerade bin, ich mache dass nämlich selbst bei anderen zu gerne - wenn auch manchmal nur um sie zu ärgern. ;-)

Ach ja, der Text war Auslöser für diese Veröffentlichung. ;-)

... link  


... comment