Mittwoch, 15. Dezember 2004
2 geschenkte Stunden - Kapitel I - Der Weihnachtsteil

Wie ein Sausewind verließ ich das Büro, als Cheffe heut Nachmittag meinte, wenn ich nicht so sehr zu tun hätte, könne ich ruhig auch mal schon gehen. Es kommen sicher auch wieder andere Zeiten, wo es ans länger Bleiben geht. Wenn ich vielleicht noch was für Weihnachten zu erledigen hätte ... Und schwupps, war ich fort. Ich wusste nicht gleich, was ich draußen tun würde, aber so was lässt man sich ja nicht zweimal sagen. Und ich hab zurzeit tatsächlich nur unwesentlich mehr als nix zu tun. Liegt wohl am Jahresende. Hoffentlich ändert das sich nicht noch übermäßig in den letzten paar Tagen.

Also schwupps, war ich fort und auf dem Weg zur U-Bahn fiel mir auch spontan ein, wohin: Weihnachtsmarkt! Endlich. Wollte ich doch schon länger. War ich in München so gut wie noch nie und das war die Gelegenheit. Und - mit zwei Stunden schafft man in der Innenstadt sogar zwei Weihnachtsmärkte, zwei in einander übergehende Fußgängerzonen und kommt ganz unverhofft an einem Spezialladen vorbei, den man für eine spezielle Geschenksorte benötigt. Klasse. Ich hätte sonst nie gewusst, wo ich diese kleinen Dinger herbekomme und schon gar nicht wär ich freiwillig extra irgendwo hin gefahren!

Hmm, Weihnachtsmärkte ... Ich bin dann wohl doch eine großstadtverwöhnte Berliner Göre. Wenn in einer kleinen Großstadt jeder Stadtteil seinen eigenen Weihnachtsmarkt hat ... ergibt sich zwangsläufig, dass diese Weihnachtsmärkte nicht sehr groß sind. Und dass das Angebot nicht sehr abwechslungsreich ist. Oder dass man alle Märkte der Stadt abklappern muss, um einen besonderen Stand zu finden. Sicher jedoch findet man überall wärmenden Glühwein und diverse herzhafte Schmankerln; schokierte Früchte und wunderbar süß duftendes Gebackenes; warme Socken, Handschuhe und Mützen für den Winter; dutzende Marien- und Engelsfigürchen für die festliche Krippe; Holzschnitzereien, Kerzen plus -halter in allen Variationen für die festliche Stimmung und Mineralienzeugs für?s Wohlbefinden - sowie die allseits bekannten Duftkegel, -öle und Räucherstäbchen. Alles Dinge, die man im Normalfall schon seit Jahren hat oder nicht wirklich braucht. Jedoch, nix besonderes. Nix außergewöhnliches. Nix, wo man mal sagen könnte, ha, das ist doch mal ne Idee. Es sei denn, man klappert alle Märkte der Stadt ab. Dann vielleicht.
DAS war in der kleinen Stadt am vergangenen Wochenende ganz anders. Irgendwie. Der einzige Markt der Stadt war viel größer als die zwei Stichproben heute und die Auswahl an Geschenken und Geschenkideen bedeutend mannigfaltiger. Selbst die Auswahl an Leckereien stand dem in nix nach. Komisch.

Nun, mal sehen, ob ich nicht noch so eine kleine Reise unternehme. Morgen. Oder Übermorgen. Oder jeden Abend einen weiteren Stadtteilweihnachtsmarkt. Irgendwo muss doch was besonderes zu finden sein. Nicht dass ich noch dringend irgendwas bräuchte, nein, aber ich hätte gern noch was. Irgendwas nettes. Zur Inspiration. Einfach so.
Kapitel II
Kapitel III

Von jeamuc um 22:50h| Gesellschaft | 0 Kommentare |comment

 

2 geschenkte Stunden - Kapitel II - Voll das Leben, mittendrin

Kapitel I
Nachdem ich also die zweite Fußgängerzone hinter mich gebracht hatte, gings an den Rückweg. Natürlich mit dem ÖPNV. Und ich sage euch, wenn einer eine Reise tut ... Seit heute Abend hat der Slogan "Die S-Bahn erhöht die Schlagzahl" eine ganz neue Note für mich bekommen.

Man stelle sich zum Feierabendverkehr einen unterirdischen Innenstadt-S-Bahnhof vor. Dieser hat zwei Gleise: Gleis 1 und Gleis 2. Und dazu drei Bahnsteige. Die zwei äußeren zum Aussteigen, der innere für beide Gleise gemeinsam zum Einsteigen. Es wimmelt nur so von Menschen. Und Fräulein Jea mittendrin hat zwölf Minuten Wartezeit, bis ihre einzig nach Hause führende S-Bahn kommt. In diesen zwölf Minuten bekommt das Wort Schlagzahl eine völlig neue Bedeutung. Denn die (S-Bahn-)Züge kommen und gehen Schlag auf Schlag. Auf beiden Gleisen abwechselnd.
Gleis 2 (links des Bindestrichs) - Gleis 1 (rechts des Bindestrichs)
1. Zug fährt ein - Ansage: Auf Gleis 1 nicht mehr zusteigen!
Bleibt stehen - voriger Zug fährt los
Türen öffnen - Und ist weg.
EinsteigenEinsteigenEinsteigen - ... Durchatmen
Türen gehen zu - 2. Zug fährt ein
Ansage: Auf Gleis 2 nicht mehr zusteigen! - Bleibt stehen
Zug fährt los - Türen öffnen
Und ist weg. - EinsteigenEinsteigenEinsteigen
... Durchatmen - Türen gehen zu
Hupen Ansage: Auf Gleis 1 nicht mehr zusteigen!
3.. Zug fährt ein - Zug fährt los
Bleibt stehen - Und ist weg.
Türen öffnen - ... Durchatmen
EinsteigenEinsteigenEinsteigen - Hupen
Türen gehen zu - 4. Zug fährt ein
Ansage: Auf Gleis 2 nicht mehr zusteigen! - Bleibt stehen
Zug fährt los - Türen öffnen
Und ist weg. - EinsteigenEinsteigenEinsteigen
... Durchatmen - Türen gehen zu
Hupen Ansage: Auf Gleis 1 nicht mehr zusteigen!
5. Zug fährt ein - Zug fährt los
Bleibt stehen - Und ist weg.
Türen öffnen - ... Durchatmen
EinsteigenEinsteigenEinsteigen - Hupen
Türen gehen zu - 6. Zug fährt ein
Ansage: Auf Gleis 2 nicht mehr zusteigen! - Bleibt stehen
Zug fährt los - Türen öffnen
Und ist weg. - EinsteigenEinsteigenEinsteigen
... Durchatmen - Türen gehen zu
Ansage: Auf Gleis 1 nicht mehr zusteigen!
Zug fährt los
Und ist weg.
... Durchatmen

Ich spürte, wie sich Puls und Atmung beschleunigten. Bekam fast Herzrasen. Und fragte mich, wie man das auf Dauer, vielleicht täglich, ertragen kann, ohne einen Herzkasper zu bekommen? Ich wurde schier irre. Laut Fahrplan liegt die Zugfolge bei zwei Minuten. Pro Richtung! Gut, dass ich meinen Stand- und Wartepunkt an einer Säule gefunden hatte, an der ich mich anlehnen konnte und die mir gleichzeitig den Rücken frei hielt. So brauchte ich mich wenigstens nicht um eventuelle Rucksackinhaltsdiebe sorgen. Nach den zwölf Minuten war meine Bahn auf meinem Gleis die sechste oder siebte. Und ich fand einen Sitzplatz ...

Kapitel III

Von jeamuc um 22:45h| ÖPNV | 0 Kommentare |comment

 

2 geschenkte Stunden - Kapitel III - Gestalten

Kapitel II
Ich fand meinen Sitzplatz gegenüber einem sehr voluminösen, jugendlichen jungen Mann mit Bayern München Basekap, dessen weißes Outfit durch deutliche Farbreste verschiedenster Art darauf hindeutete, dass er wohl sei Dasein als Malerlehrling fristet. Vertieft in ein ebenso voluminöses Comicbuch - wohl Micky Mouse - bedröhnte er sich per Lautsprecherstöpsel mit Musik in einer Lautstärke, dass ich in Erwägung zog, ihn um die Reduktion dieser zu bitten. Ich verzichtete dann aber doch darauf und zückte mein heiß geliebtes populärwissenschaftliches Magazin.

Ich versuchte zu lesen. Doch weit kam ich nicht. Aus den Ohrstöpseln mir gegenüber, denen des voluminösen Malerlehrlings mit Bayern München Basekap und Micky-Mouse-Buch, drangen Klänge an mein Ohr - dass sich selbigem nicht traute: Griechischer Wein von Udo Jürgens!
Nein, ich glaubte das nicht! Erst vermutete ich eine wie auch immer geartete Coverversion von irgendeiner Deutschrockband oder ähnliches, doch dann wurde immer deutlicher: es war das Original! In mir machte sich ein fast unverschämtes Grinsen breit, welches in Form eines deutlichen Schmunzelns nach außen drang. Mein Gegenüber bemerkte zum Glück nichts davon. Und der ältere Herr, der mittlerweile neben ihm Platz genommen hatte, dachte es käme von meiner Lektüre, welche ich auch intensiv als Alibi einsetzte. Aber innerlich lachte jede Faser. Spätestens, als sich der folgende Titel als Santa Maria von Roland Kaiser entpuppte. - Ein junger Mann, gerade im Lehrlingsalter, sitzt da, liest nen dicken Wälzer Micky Mouse (okay, ich weiß nicht, in welchem Alter man sowas liest, hab ich nie getan, aber:) und hört Udo Jürgens und Roland Kaiser in einer Lautstärke, dass sie die S-Bahn-Mitfahrer fast stört ... Und nein, er erweckte keinen weiteren Anschein irgendeiner Behinderung.
Kurz nach Santa Maria stieg der junge Mann aus.

Hach, endlich lesen.

Denkste! Hinter mir vernahm ich ein lautstarkes "Hello?? .. Hello?? ... Hello?? ... Darling, I've forgotten the charger for the cellphone ..." Und es folgte ein weiterhin lautstarkes Telephonat, in dessen Verlauf er seiner Familie - Toby, der Sohn wurde mit hineingezogen, weil Mummy nicht konnte - erklärte, dass er nicht ohne abfliegen könne, dass es ein genau solches kaum zum nachkaufen gäbe und wo sich das Ding befindet, damit man es ihm unbedingt noch zum Airport (welcher sich an der Endstation dieser S-Bahn befindet) bringe und er dem Toby auch einen Letter schreibe, da dieser wohl dafür eine - vermutlich schulische - Veranstaltung verpassen würde. Während dessen klingelten zwei weitere Mobiles, jedoch ohne dass sich daraus nennenswerte Telefonate ergaben. Ist halt die Flughafen-S-Bahn. Immer voll von lauter wichtigen Leuten.

Bald darauf erreichte der Zug meinen sehnlichst erwarteten Heimatbahnhof. Ich stieg aus und stapfte zum Auto. Stieg ein, schloss die Tür hinter mir, und hatte RUHE. Endlich Ruhe. Noch zwei Kilometerchen bis nach Hause. Post geholt, Badewasser an, Compi an, Katzen gefüttert, Schreibzeug, Hasenbrote und schnurloses Telefon zusammengesammelt und ganz schnell ab mit dem durchgefrorenen Hintern ins wohlig-warme Erkältungsbad. Ätherisch. Prophylaktisch. Gut.

Gut, wieder zu Hause zu sein!