Vor kurzem ging der Name eines relativ weit entfernten Ortes, an dem vor relativ langer Zeit etwas ziemlich Schlimmes passiert ist, so oft und fast panikartig durch Presse und Blogs, dass ich seine Erwähnung nahezu jedes Mal zum Anlass zum Wegschalten oder Weiterblättern nahm.
Nicht ohne mir darüber Gedanken zu machen.
Gedanken zu machen, warum mich diese Betroffenheit nicht betrifft. Warum mich das so kalt lässt. Ja regelrecht nervt, diese Wiederaufrüttelung einer Panik von vor zwanzig Jahren.
Weil ich sie anscheinend damals schon nicht so übermäßig empfunden habe.
Zum einen, weil ich damals als Teenager ganz andere Dinge im Kopf hatte. Klar.
Zum anderen, weil in den Medien in meinem Land damals offensichtlich damit (und allseitsbekannterweise mit allem so Zeugs) ganz anders umgegangen wurde, als “hier”zulande und heute. Weil nicht jedes Nachrichtenmedium versuchte, in seinem Bericht die Situation dramatischer, reißerischer, besser verkaufbar darzustellen, als das andere, sondern es eine von oben verordnete, gesteuerte, nüchterne, sachliche, vielleicht zu abgeschwächte Informationspolitik gab. Die ich gar nicht verteidigen will und die hier auch nicht das Thema sein soll. Natürlich haben wir gewusst, dass beim großen Bruder ein unvorstellbar großer, katastrophaler Unfall nie gesehenen Ausmaßes passiert ist, der auch uns in seinen Auswirkungen betreffen kann. Wie die aussehen, haben wir ja alle im Geschichtsunterricht gelernt. Das brauchte man nicht weiter auszuschmücken. Aber Fakt ist, dass ich mich an eine Panik á la “esst euer Leben lang bloooß keine Pilze mehr” und “trinkt jaaaa keine Milch mehr” definitiv nicht erinnern kann. Und auch nicht böse drüber bin. Aber wie gesagt, das wie und warum soll gar nicht das Thema dieses Beitrags sein.
Worüber ich eigentlich erzählen wollte, ist die Printversion dieses Berichtes, den ich heute in der S-Bahn zuende gelesen, ja regelrecht verschlungen habe. Er war auch nüchtern und sachlich. Und sehr informativ. In keinster Weise reißerisch aufgemacht. Es ging um damals, und heute. Um das Geschehene und die Menschen. Die Menschen damals, und die Menschen heute. Und die Landschaft. Die Natur. Die Auswirkungen und deren Ausbreitung. Die Schäden an Natur und Menschen am Leben. Und die Überlebenden. Wie die einst so belebte Trabantenstadt des Unglücksortes noch heute verlassen und leer steht und verfällt bzw. Stück für Stück durch die Natur zurückerobert wird. Und darum, in welcher Form die Natur im direkten Umfeld der Katastrophe wieder aufersteht: nämlich dass die Nadelbäume wieder wachsen, wenn auch verkrüppelt, mit z. T. viel zu kurzen oder zu langen Nadeln, oder mit Zapfentrauben, wo eigentlich nur einer wachsen sollte. Aber die Natur kämpft sich durch. Und von Menschen, die einfach nach wenigen Jahren in das Katastrophengebiet - ihre Heimat - offensichtlich ohne Angst und gegen alle Bemühungen des Staates zurückgekehrt sind. Bis heute dort leben. Und anscheinend sogar gesund sind. (Denn es gibt eine ärztliche Versorgung mit regelmäßigen Untersuchungen, wenn ich mich recht erinnere.)
Ach ja, Angst. Darum ging es auch. Darum, dass viele der gesundheitlichen Schäden in der Psyche liegen (nicht verursacht sind, sondern wirklich liegen). In der Angst, krank zu werden.
Womit sich der Bogen zu meiner Person und meiner Denke spannt. Weshalb dieser Bericht für mich nicht nur unheimlich interessant sondern am Schluss sogar persönlich wurde.
Ein guter Artikel. Für den ich dankbar bin. Und der mich nun endgültig davon abhält, mein Abo mangels Zeit zum Lesen zu kündigen. Auch wenn ich um Monate hinterherhänge und zzt. viel lieber Baby- und Elternzeitschriften lese. Ich werd's schon wieder aufholen.
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Das war hier vor 20 Jahren auch noch nicht so ekelhaft wie es heute ist, weil es da noch nicht diese Flut von Privatsendern gab. Da waren Nachrichten noch Nachrichten; vielleicht wurde mehr gewarnt und sind mehr Meinungen eingeflossen als "bei euch", aber man hatte noch eine Chance, sich seine Meinung selbst zu bilden, wurde noch nicht von Panikmache überrannt, wurde nicht jedes Unglück in Zusammenhang mit der Ausrottung der Menschheit gebracht.
Jedenfalls empfinde ich das so. Und das ist auch einer der vielen Gründe, warum ich heute kein Fernsehen mehr gucke.
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