Mittwoch, 18. Januar 2006
Das Wildschwein auf der Autobahn

oder:
Unverstanden Verstanden?

Es war zwei Tage nach Weihnachten. Ein schöner sonniger Schnee-weiß-blauer-Himmel Wintertag. Die Feiertagsaufregungen hinter mir. Und ich in aller Ruhe, mit aller Zeit der Welt, allein mit meinem Auto auf der fast leeren Autobahn Richtung Norden. Beinahe Richtung Ostsee. Es fuhr sich wunderbar. So herrlich entspannt nach all der Anspannung der letzten Tage, ja Wochen. Ich so ganz mit mir allein. Der CD-Player spielte Wunschmusik. Die Sonne schien aus voller Kraft. Und zu Krönung lief gerade das beste Lied der CD. Was mich veranlasste, mal so richtig laut zu drehen. Dieses Lied muss man einfach laut hören, wenn man kann. Und ich konnte! Meine Situation erfüllte alle Voraussetzungen zu diesem Genuss.

Doch er sollte mir nicht vergönnt sein. Denn es dauerte nicht lange, da blinkte es plötzlich blau vor mir. Auf dieser eigentlich fast leeren Autobahn. Die wenigen Autos voraus fuhren langsamer, schalteten die Warnblinkanlagen ein, ordneten sich auf der rechten Spur ein. Erst erschien das Polizeiauto auf der linken Spur in meinem Blickfeld. Dann davor der quer zur Fahrbahn stehende Pkw mit gleichmäßig eingedrückter Front. Und davor lag, ebenfalls quer zur Fahrbahn - ein riesiges Wildschwein. Ein riesiges, einfach so daliegendes, ungemein friedlich ausschauendes Wildschwein. Und es war tot! Tot! Dieses arme, unschuldige, riesige, so friedlich daliegende Wildschwein war einfach - tot. So plötzlich und unschuldig mitten aus seinem Leben gerissen. Da konnt ich nix gegen machen, es rollerten die Tränen los. Sie rollerten und kullerten nur so herunter. Und ich suchte verzweifelt nach dem nächsten Parkplatz.

Der kam zum Glück bald. Und zu meinem Glück war die Piste bis dahin auch weiterhin nicht voll. So dass ich nicht wieder und wieder die Tränen unterdrücken musste auf die Gefahr hin, dass sie mich weiter quälen, von innen auffressen würden. Nein, der nächste Parkplatz kam, ich hielt an, stellte den Motor ab und heulte. In einer Intensität, die ich lange nicht erlebt hatte. Ich heulte, heulte, heulte und wusste nicht, ob ich hoffen sollte, dass es jemand oder keiner merkt. Ich heulte dass es mich nur so schüttelte. Bis es irgendwann nachließ und ich ein paar Schritte an der frischen Winterluft gehen konnte.

Natürlich hab ich nicht um das Wildschwein geheult. Das war nur der Anlass. Der Auslöser. Nein, es waren die Tränen, die schon seit Tagen einen Ausgang suchten. Und hier und jetzt passten ihnen Zeit und Gelegenheit. Hier musste ich keine Haltung wahren, hier war niemand um mich herum, der stärker betroffen war und eher meinen Trost brauchte, und auch sonst war niemand da, dem ich es hätte erklären müssen. Und ich selbst? Ich begann, mich zu verstehen.

Danke an Lunally, dark* und goldhamster33 für Eure lieben Kommentare dort.

... comment